Ausgabe 6/2014

    Schluss mit Niedriglöhnen

    Papierverarbeitung

    Schluss mit Niedriglöhnen

    Papierverarbeitung Werner Bachmeier Papierverarbeitung

    Allgemeinverbindliche Tarife regeln den Wettbewerb neu


    Von Michaela Böhm

    Schlechte Nachrichten: Unternehmen der Papierverarbeitung bauen Arbeitsplätze ab und machen Werke dicht. Das wird häufig mit dem Kostendruck durch tariflose Konkurrenz begründet.

    Was ist zu tun?
    Ein Tarifvertrag gilt nur für Beschäftigte, die Mitglieder einer Gewerkschaft sind, und für Mitglieder im Arbeitgeberverband. Ist ein Unternehmen nicht tarifgebunden, kann es Löhne nach Gutdünken festsetzen. Die sind dann oft niedriger als im Tarifvertrag. Lohndumping muss keiner tatenlos zuschauen. Denn es ist möglich, einen ganzen Tarifvertrag oder auch die Lohntabelle für allgemeinverbindlich zu erklären. Was dort drinsteht, gilt dann für alle Beschäftigten in der Papierverarbeitung, ob der Arbeitgeber Mitglied des Arbeitgeberverbandes ist oder nicht.

    Welche Voraussetzungen sind notwendig?
    Die Hürden, einen Tarifvertrag allgemeinverbindlich zu erklären, liegen hoch. Zunächst müssen sich Gewerkschaft und Arbeitgeberverband einig sein und gemeinsam einen Antrag beim Bundesarbeitsministerium stellen. Dann wird geprüft, ob ein öffentliches Interesse vorliegt. Weil sich etwa immer mehr Unternehmen aus der Tarifbindung stehlen und mickrige Löhne zahlen.

    Wer entscheidet über den Antrag?
    Der Tarifausschuss. Der ist besetzt mit je drei Vertretern des Arbeitgeberdachverbandes und des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Sie müssen im Einvernehmen abstimmen. Sind die Arbeitgeber dagegen, wird der Antrag abgelehnt. Und weil der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände wenig von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen hält, lehnt er Anträge oft ab und setzt sich damit auch über den Willen des Branchen-Arbeitgeberverbandes hinweg. Das ist faktisch ein Vetorecht für Arbeitgeber.

    Was will ver.di genau?
    ver.di will gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband der Papierverarbeitung beantragen, den Lohnrahmentarifvertrag und die Lohntabellen für gewerblich Beschäftigte allgemeinverbindlich zu erklären. Oder zumindest unterste Branchenmindestlöhne festlegen. Konkret: Keine Hilfskraft in der Papierverarbeitung soll weniger als 11,85 Euro pro Stunde verdienen. Und jede Fachkraft ab drei Jahren Berufserfahrung mindestens 15,80 Euro bekommen. Im Osten: 11,21 Euro mindestens für die Hilfskraft, 14,95 Euro für die Fachkraft.

    Warum will ver.di das?
    In manch einer Teilbranche der Papierverarbeitung, etwa in der Wellpappe, herrscht ein harter Unterbietungswettbewerb. Es sind vor allem tariflose Unternehmen, die versuchen, der Konkurrenz mit niedrigen Preisen Aufträge abzujagen. Das tun sie aber nicht zu Lasten der Gewinne und Geschäftsführergehälter, sondern auf Kosten der Beschäftigten. Solche Firmen lassen ihre Beschäftigten länger arbeiten, zahlen niedrige Stundenlöhne, kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld und wenige oder keine Zuschläge. Dürfen die Löhne durch die Allgemeinverbindlichkeit aber nicht unterschritten werden, ist Schluss mit Niedriglöhnen. Auch der Druck auf tarifgebundene Unternehmen wird geringer, weil die Konkurrenz die Preise für die Produkte durch Lohndumping nicht grenzenlos unterbieten kann.

    Zieht der Arbeitgeberverband der Papierverarbeitung mit?
    Während der Tarifverhandlungen um mehr Lohn und Gehalt wollte der Arbeitgeberverband darüber noch nicht entscheiden.

    Was bringt mir das? Ich arbeite im Osten – bei uns gilt keinTarifvertrag, ich verdiene 8,70 Euro pro Stunde.
    Beschäftigte in tariflosen Unternehmen, die weniger verdienen als im Tarifvertrag vorgesehen, profitieren am stärksten von der ver.di-Initiative. Ihr Chef müsste sich künftig an die Lohntabelle halten. Die Hilfskraft erhält mindestens 11,21 Euro.

    Ich verdiene Tariflohn. Wenn künftig Branchen-Mindestlöhne gelten, erhalte ich dann weniger?
    Nein. Die Tariflöhne werden von der Allgemeinverbindlichkeit nicht angetastet. Und vom Tarifvertrag haben Gewerkschaftsmitglieder noch mehr: 30 Tage bezahlten Urlaub, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Zuschläge, regelmäßige Lohnerhöhungen und Tarifschutz bei der Samstagsarbeit.

     


    Interview mit Dr. Reinhard Bispinck

    Dr. Reinhard Bispinck Przbylski Dr. Reinhard Bispinck  – Leiter des Tarifarchivs in der Hans-Böckler- Stiftung.

    DRUCK+PAPIER: ver.di will den Lohnrahmentarifvertrag und die Lohntabellen für die gewerblich Beschäftigten in der Papierverarbeitung allgemeinverbindlich erklären lassen. Eine gute Idee?

    Bispinck: Auf jeden Fall. Die zweitbeste Lösung ist es, Lohnuntergrenzen für Hilfs- und Fachkräfte festzulegen. Aber damit wäre nur geregelt, dass niemand weniger verdienen darf. Wichtiger wäre, dass der gesamte Lohntarifvertrag für alle Beschäftigten der Papierverarbeitung gilt.

    D+P: Gewerkschaften begrüßen, dass es nun leichter geworden ist mit der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Stimmt das?

    Bispinck: Zum Teil. Zuvor musste nachgewiesen werden, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber einer Branche mindestens die Hälfte der Arbeitnehmer/innen, für die der Tarifvertrag gilt, beschäftigen. Das ist nun weggefallen.

    DRUCK+PAPIER: Dann wird es bald ganz viele Anträge geben?

    Bispinck: Ich hoffe, dass es deutlich mehr werden. Allerdings hat die Große Koalition das faktische Vetorecht der Arbeitgeber nicht angetastet. Ist die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände dagegen, hat der Antrag keine Chance. Die Arbeitgeber können nach wie vor blockieren. Das ist einer der Gründe, warum es so wenige allgemeinverbindliche Tarifverträge gibt.