Mehr Ausnahmen, weniger Kontrollen
Der gesetzliche Mindestlohn ist längst beschlossen und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Am 1. Januar wird er eingeführt. Dennoch geben seine Gegner keine Ruhe. Insbesondere die Verlage drängen auf weitere Ausnahmen und zugleich weniger Kontrollen. Aktuell planen die Regierungsfraktionen, auch Beschäftigte zu benachteiligen, deren Tätigkeit sich nicht auf die reine Zeitungszustellung beschränkt. Laut Gesetzestext steht ihnen der volle Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zu. Politik macht sich unglaubwürdig Eigentlich sollten lediglich Beschäftigte, »die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen oder Zeitschriften an Endkunden zustellen«, im kommenden Jahr mit 6,38 Euro abgespeist werden können, 2016 mit 7,23 Euro. Doch wie ein Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion im November auf Nachfrage bestätigte, »wird geprüft, inwieweit es geboten erscheint, die gefundenen Übergangsregelungen
für Zeitungszusteller auch auf diejenigen Zeitungszusteller anzuwenden, die neben Zeitungen beispielsweise auch Anzeigenblätter und Werbebroschüren zustellen.« Damit wären
alle rund 300.000 Zeitungsboten gegenüber anderen Niedriglöhnern benachteiligt.
»Würde dies umgesetzt, wäre es bereits das dritte Mal, dass die Regierung vor den Verlagslobbyisten einknickt«, kritisiert Andreas Fröhlich von der ver.di-Bundesverwaltung. Dass die Ausnahmeregelung überhaupt Eingang ins Gesetz gefunden hat, sei allein dem Druck der Verlagskonzerne geschuldet. Werde diese nun ausgeweitet, mache sich die Regierung vollends unglaubwürdig. Sie hat nämlich bereits dafür gesorgt, dass die Einhaltung des Mindestlohns bei Zustellern kaum zu kontrollieren ist. Im Eiltempo peitschte das Bundesfinanzministerium Mitte November eine Verordnung durch, die Unternehmen von der Verpflichtung enthebt, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit zu dokumentieren. Stattdessen müssen sie lediglich die tatsächliche Arbeitszeit aufzeichnen. Wie das gehen soll, ohne zu erfassen, wann der Betreffende mit seiner Arbeit angefangen und aufgehört hat, bleibt das Geheimnis des Ministeriums. Die Regelung gilt für Beschäftigte mit ausschließlich »mobilen Tätigkeiten«, die ihre Arbeitszeiten eigenverantwortlich einteilen und denen keine Vorgaben über Arbeitsbeginn und -ende gemacht werden.
Missbrauch vorprogrammiert
Der DGB hält dies für rechtswidrig und nicht praktikabel, »da Arbeitszeiten, die abstrakt im Raum stehen und auf einer Zeitachse nicht verankert sind, weder kontrolliert noch nachgewiesen werden können.« Der Sinn der Neuregelung bestehe offenbar »einzig und allein in einer Förderung der Umgehung des Mindestlohns«, heißt es in einer Stellungnahme des Gewerkschaftsbundes.
Die vom Bundeskabinett bereits akzeptierte Verordnung mache es noch schwieriger, die Einhaltung des Mindestlohns zu überprüfen, kritisiert Fröhlich. Die Zustellfirmen hätten ohnehin viele Möglichkeiten, zum Beispiel bei der Umrechnung des Stücklohns in ein Stundenentgelt oder bei der Einrechnung von Zuschlägen zu tricksen. Verhindern lasse sich dies nur durch starke und gut geschulte Interessenvertretungen. »Der Einzelne kann sich gegen unlautere Methoden der Unternehmer kaum zur Wehr setzen«, betont Fröhlich. »Deshalb sollten die Belegschaften kompetente Betriebsräte wählen, die ihre Interessen konsequent vertreten.« In den örtlichen ver.di-Büros könnten sich Gewerkschaftsmitglieder hierbei beraten lassen.