Abschluss!
Am Nachmittag deutet noch nichts darauf hin, dass ver.di in dieser Nacht einen Tarifabschluss schafft. Noch beharren die Arbeitgeber auf ihrem Angebot: zwei Prozent mehr Lohn in diesem und weitere zwei im nächsten Jahr. Mehr wollen sie nicht geben. Es ist der 30. Oktober und die vierte Verhandlungsrunde für die rund 100.000 Beschäftigten in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie.
Während drinnen im Hotel verhandelt wird, demonstrieren draußen Beschäftigte aus hessischen Papierverarbeitungsbetrieben. Mit Trillerpfeifen verschaffen sie sich Gehör – so laut, dass der Lärm bis in die Verhandlungen dringt. Unterstützt werden sie von einer kleinen Delegation von Streikenden bei Amazon in Bad Hersfeld, die wie andere Standorte seit Langem für einen Tarifvertrag kämpfen. Der Online-Versandhändler zählt zu den größten Kunden der Wellpappenindustrie. »Die tarifgebundenen Beschäftigten unserer Branche wollen, dass auch ihr größter Kunde tarifgebunden ist«, sagt ver.di-Verhandlungsführer Frank Werneke zu den Streikenden.
Es ist später Abend. Die ver.di-Delegation kehrt aus den Verhandlungen mit den Arbeitgebern zurück. Wieder hatte ver.di erklärt, dass die 5,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt keine überbordende Forderung seien, sondern einer Erhöhung entsprechen, wie sie auch in anderen Branchen bezahlt würde. Aber der Satz »Wir wollen einen anständigen Abschluss« von Heinrich Hartmann aus der Tarifkommission verärgerte die Arbeitgeber mächtig. Unanständig seien sie nicht. Sie seien die guten Arbeitgeber.
Weiterverhandelt
Wieder wurden neue Modelle diskutiert. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass sich ver.di mit einer kurzen Laufzeit des Tarifvertrags nicht durchsetzen wird. Klar ist aber auch, dass ver.di keine zig Nullmonate dulden wird und auch keine Lohnerhöhung, die erst 2015 fällig wird. Noch liegen ver.di und die Arbeitgeber weit auseinander. Weiterverhandeln. 78 Belegschaften und mehr als 6.000 Beschäftigte hatten seit September die Arbeit niedergelegt. Mal ein paar Stunden, mal ganze Schichten. Meist begleitend zu den Verhandlungen. Bis die Streiktaktik eine andere wurde.
Eine gute Bilanz
»Wir haben dosiert, aber überraschend zugeschlagen«, sagt Frank Werneke. Die Geschäftsführung, die sich schon wappnete für den Streik, war perplex, weil die Belegschaft zur Arbeit erschien. Eine andere, die nicht damit rechnete, wurde vom Streik überrascht. Die besondere Art des Streikens hat letztlich dazu beigetragen, dass kurz nach Mitternacht der Durchbruch erzielt werden konnte. Die Beschäftigten erhalten ab 1. Dezember 2,4 Prozent mehr Lohn und ab 1. November 2015 weitere 2,6 Prozent. Der Tarifvertrag läuft über 26 Monate.
Michaela Böhm