Ausgabe 6/2014

    Ich habe das Helfersyndrom

    Porträt

    Ich habe das Helfersyndrom

    Holger Malterer Mathias Thurm Holger Malterer  – Holger Malterer (63) hat nach seiner Druckerlehre bei der Firma Broschek in Hamburg und einer anschließenden vierjährigen Berufstätigkeit an der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) ein Betriebswirtschaftsstudium absolviert. Von 1978 bis 2001 war er zunächst Gewerkschaftssekretär bei der IG Druck beziehungsweise IG Medien. Von 2001 bis 2009 arbeitete er als Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Kiel-Plön. Neben zahlreichen anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten setzt sich Holger Malterer seitdem vor allem in der BG ETEM (Energie, Textil, Elektro, Medienerzeugnisse) für den Gesundheitsschutz ein.

    Von Mathias Thurm

    Wenn Holger Malterer Besucher durch das Druckmuseum in Rendsburg führt, ist er kaum zu bremsen. »Das hier ist ein Hellschreiber«, sagt der Frührentner mit leuchtenden Augen und zeigt auf ein technisches Gerät vom Format eines kleinen Koffers mit verschiedenen Schaltern, Kabelanschlüssen und einer Tastatur. »Rudolf Hell hat damit die Übertragungstechnik revolutioniert. Der Hellschreiber, ein Vorläufer der Scantechnik, ist in Kiel erfunden worden; dieses Gerät wurde aber später von Sanyo in Japan gebaut«, streut er nebenbei ein. Man merkt sofort: Hier kennt er sich aus. Mit der Begeisterung, mit der ein Kind seine elektrische Eisenbahn vorführt, eilt der 63-Jährige von Exponat zu Exponat, von einem historischen Ausstellungsstück zum nächsten. »Hier die größeren Maschinen«, verkündet er beim Betreten des anschließenden Saals. »Diese Buchdruckschnellpresse, Baujahr 1935, stand bei A.C. Ehlers in Kiel. Als ich die geholt hab’, da lief die noch.«
    Der ganze Stolz des gelernten Buchdruckers gilt dem Heidelberger Tiegel aus den 1940er-Jahren. Fast zärtlich lässt er seine Hand über das Metall gleiten, betätigt Hebel und Rädchen. »Aus einer Segeberger Druckerei für eine Mark gekauft. Nächstes Jahr, wenn ich aus der Berufsgenossenschaft aussteige, habe ich mehr Zeit; dann werde ich ihn mal in Schuss bringen«, freut sich der Ruheständler.


    Du brauchst Ziele
    Die Zeit könnte jedoch knapp werden. Denn Holger Malterer hat auch, wenn er Ende 2014 den Vorsitz des Präventionsausschusses der Berufsgenossenschaft (BG) ETEM abgibt, mehr als genug auf dem Zettel, um seine Tage zu füllen. Einer wie er zieht die Aktivitäten magisch an. »Ich habe das Helfersyndrom«, meint er. Ein großes Thema, das ihn seit seiner Tätigkeit als Drucker, später als Gewerkschaftssekretär und Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Kiel-Plön bis heute bewegt, ist der Gesundheitsschutz. Als Gewerkschaftler sei er Anfang der Neunzigerjahre mit Kollegen nach Dänemark gefahren, um sich über Gefahren durch Lösungsmittel zu informieren. Beim nördlichen Nachbarn sei man damals schon viel weiter gewesen in Sachen Gesundheitsschutz: »Wir haben gesehen, dass die Dänen ihre Druckmaschinen mit Salatöl und anschließend mit Wasser gereinigt haben. Das haben wir in einer Druckerei in Neumünster mit einigem Erfolg dann auch ausprobiert. Fünf Jahre später stand die Brancheninitiative Lösungsmittel Druckindustrie.« Malterer zieht ein Schaubild mit bunten Balkendiagrammen aus einer Mappe. Es zeigt, dass der Anteil der gefährlichen Lösungsmittel bei den Reinigungsmitteln in den vergangenen 20 Jahren von 63 Prozent auf 13 Prozent gesunken ist. Inzwischen ohne Salatöl. »Das habe ich gut gemacht. Da bin ich auch stolz auf mich«, sagt er selbstbewusst. »Jetzt sind wir dabei, die letzten 13 Prozent zu eliminieren«, fügt er kampfeslustig hinzu. »Du brauchst Ziele. Das habe ich mein Leben lang gelernt.« Seit seinem Ausscheiden als ver.di-Geschäftsführer 2009 hat sich Holger Malterer ganz auf die ehrenamtliche Tätigkeit in der BG ETEM konzentriert. Zurzeit kümmert er sich vor allem um rutschfestes und stabiles Schuhwerk für Zeitungszusteller. Auch sein nächstes Projekt steht schon in den Startlöchern: Er erarbeitet Informationen über die sichere Nutzung von E-Bikes und Lastenfahrrädern für Postboten, Kuriere und Zusteller. Eine Baustelle allein war ihm nie genug. Sich permanent weiterzubilden und offen zu sein für Neues, war immer selbstverständlich für den Arbeitnehmervertreter, der nach seiner Ausbildung und Arbeit als Drucker auch ein Betriebswirtschaftsstudium abgeschlossen hat. Mit fortschreitendem Alter rückt das Rententhema stärker in seinen Fokus. Als Versichertenberater der Deutschen Rentenversicherung und als Vorsitzender der ver.di- und Mediensenioren im Kreis Plön informiert er bei Veranstaltungen und in Pflegeheimen über die abschlagsfreie Rente mit 63 und die aktuellen Änderungen im Pflegegesetz.
    Für einen gestandenen Gewerkschafter eher ungewöhnlich sind schriftstellerische Ausflüge. Die Liste der Veröffentlichungen, bei denen Holger Malterer als Autor oder Herausgeber geführt wird, passt kaum auf eine DIN-A4-Seite. Ausgeführt wird nicht nur Berufshistorie wie »125 Jahre Druckersparte Klopfholz in Kiel«, sondern auch gesammelte Beiträge über Heinrich Heine, Wilhelm Liebknecht und Ernst Barlach sind genannt. »Wenn man ver.di-Kollegen kennt, weiß man, was die manchmal für Manuskripte abliefern. Ich hab’ die Texte lesbar gemacht und Lektorat und Satz besorgt.« Sein Licht unter den Scheffel zu stellen, ist dieses Mannes Sache nicht. Man muss schon von sich überzeugt sein und bekannt wie ein bunter Hund, wenn – wie er erzählt – Eva Rühmkorf, die damalige Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, ihn angerufen habe: »Kannste mal vorbeikommen?« Aus dem Gespräch sei letztendlich das Literaturhaus in Kiel entstanden. »Das war eine Idee von Eva Rühmkorf und mir. Da war ich dann Schatzmeister.« Als Geschäftsführer des im Verbandes Deutscher Schriftsteller (VS) in ver.di habe er im Land auch viele Lesungen organisiert und dafür die Schleswig-Holstein-Medaille bekommen.


    Lieber nicht in den Weg stellen
    Dass ein Macher wie er immer wieder mal aneckt, ist ihm durchaus bewusst. »Ich bin manchmal nicht angenehm im Umgang«, sagt er mit einem schuldbewussten Achselzucken. »Als Gewerkschaftssekretär geht das auch nicht anders. In den Weg stellen sollte man sich mir nicht. Das ist ungesund.« Als Selbstdarsteller und Mann der einsamen Entscheidungen will er aber nicht gelten: »Ich sag’ immer, wenn du gut arbeiten willst, brauchst du ein gutes Team und musst gut vernetzt sein.« Es gibt kaum einen Bereich, der vor seinem Tatendrang sicher wäre: Als Schatzmeister des Freundeskreises der Fregatte »Schleswig-Holstein« kümmert sich der Kriegsgegner um junge Soldaten und Soldatinnen. Der Verein versorgt die Schiffsbesatzung nicht nur mit DVDs oder Trimmgeräten für die Freizeitgestaltung. Malterer geht esauch um staatsbürgerliche Bildung, wenn er die jungen Leute ins Rathaus und in den Landtag einlädt, ihnen die demokratischen Strukturen erläutert: »Da haben wir eine Aufgabe gegenüber der Bundeswehr.« Schon als ver.di-Geschäftsführer hat Malterer den Kiel-Pass herausgegeben, ein Couponheftchen mit Tipps und Angeboten für Wehrpflichtige und Zivildienstleistende. Erwähnt sei noch, dass Holger Malterer ehrenamtlicher Vertreter bei der Coop ist, wo er sich gerade für die Nahversorgung und den Erhalt eines Supermarktes in Kiel Elmschenhagen einsetzt.

    Mal wieder richtig drucken
    Und was ist mit Freizeit? Lange Pause. »Ich habe meine Arbeit. Das ist doch Hobby genug.« Doch dann fällt dem Ehemann und Vater einer erwachsenen Tochter neben Kegeln und Skat seine Leidenschaft für Sudoku ein. »Das ist wichtig, damit man geistig fit bleibt. Wenn man das mal nicht hinkriegt, ist der ganze Tag im Eimer«, bricht es mit einem lauten Lachen aus ihm heraus. Nach dem Ausscheiden aus der BG ETEM will Malterer neben zahlreichen Vorträgen, Schulungen und Vereinsterminen, unter anderem auch noch für die Wissenschaftliche Forschung das Archiv im Druckmuseum Rendsburg weiter aufarbeiten und vervollständigen. Und wenn er dann noch den Heidelberger Tiegel ans Laufen kriegt, ist sein Glück perfekt: »Dann werde ich hier im Museum aufschlagen und mal wieder richtig drucken.«